Schon mit der Eröffnung des Kongresses veranschaulichte Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH, mit einer eindrücklichen Hochrechnung den Beitrag des Leichtbaus zum Klimaschutz: Fünf beispielhaft betrachtete baden-württembergische Unternehmen können mit Leichtbau jährlich etwa 36 Millionen Tonnen CO2 einsparen, was mit den jährlichen Klimagasemissionen von Ländern wie der Schweiz vergleichbar sei.
Auch Ministerin Theresia Bauer (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) betonte in ihrer Begrüßung die große Bedeutung des Leichtbaus für eine nachhaltige Entwicklung, die kreislauffähige Produktion sowie CO2-Reduktion, insbesondere im Bereich der Mobilität und Stadtentwicklung. „Leichtbau ist ein zentrales Zukunftsthema und eine Schlüsseltechnologie für das Land Baden-Württemberg“, so die Ministerin.
Branchenübergreifende Innovationskraft
Nach der Eröffnung und Begrüßung ging es mit sechs Sessions und mehreren Key-Notes fachlich in die Tiefe. So lenkte die Session „New Materials“ den Blick auf innovative Materialien für den Leichtbau wie beispielsweise Biokohlenstoffe. Doch auch jährlich nachwachsende Pflanzen und Reststoffe wie Stroh oder Silphie bieten ungeahntes Potenzial für faserbasierte Leichtbaumaterialien, wie etwa Dr. Manuel Clauss (Silphie Paper GmbH) aufzeigte. Außerdem bot die Session einen Überblick über potenzialträchtige Fertigungsrouten für bio- und / oder CO2-basierte Hochleistungsfaserverbundmaterialien und stellte hybride Foldcore-Mica-Sandwiches für den strukturellen Brandschutz vor.
In der Session „Produktion für den kreislauffähigen Leichtbau“ betonten die Expert*innen eindrücklich, dass eine ganzheitliche Betrachtungsweise der gesamten Wertschöpfungskette essenziell für die nachhaltige Produktion sei. So stellte etwa Dr. Frank Henning (Fraunhofer Institut für Chemische Technologie, ICT) heraus, dass bereits die Produktentwicklung auf Nachhaltigkeit und nicht „nur“ auf Recycling ausgelegt werden müsse. Entscheidend sei es zudem, diesen Aspekt verstärkt in den Köpfen der Entwickler*innen zu verankern.
Zudem beleuchtete die Session die Nachhaltigkeitspotenziale der additiven Fertigung am Beispiel des Selektiven Laser Sinterns (SLS) und erläuterte Optimierungspotenziale in puncto Nachhaltigkeit, beispielsweise durch den Einsatz (teil)biobasierter Materialien. Außerdem wurde die Doppelrolle des Maschinenbaus bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen herausgearbeitet: Zum einen gilt der Maschinenbau als Enabler des Leichtbaus und befähigt die Welt somit dazu, nachhaltig zu produzieren. Zum anderen wird Leichtbau aber auch für den Maschinenbau selbst genutzt, um beispielswiese bewegte Massen zu reduzieren.
Eine weitere Session fokussierte das elektrische und autonome Fliegen in Baden-Württemberg. Christopher Busch vom Forum Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg e.V. stellte heraus, dass bis zu 50 Prozent des CO2-Einsparpotenzials im Luftfahrtsektor im Leichtbau liege und nicht – wie oft angenommen – im Antrieb. Die Fachvorträge der Session präsentierten die bereits heute existierenden Anwendungsmöglichkeiten von Null-Emissionen in der Luftfahrt anhand der Projekte eGenius HPH und icaré. Besonders hervorzuheben ist dabei auch das Testfeld „e-Fliegen BW“, welches Prof. Dr. Walter Fichter (Institut für Flugmechanik und Flugregelung, Universität Stuttgart) vorstellte sowie Nutzungsmöglichkeiten auch durch Dritte aufzeigte.
Internationaler Erfahrungsaustausch im Leichtbau
Neu in diesem Jahr war die internationale Beteiligung am Technologietag Leichtbau dank der engen Zusammenarbeit der Leichtbau BW GmbH mit China, Kanada und der European Lightweight Association (ELA).
So bot die chinesische Session unter der Leitung des China Automotive Technology and Research Centre (CATARC) und der Deing Science & Technologies Co. Ltd. den Kongressteilnehmenden einen Überblick über den dortigen Stand der Technik hinsichtlich der Reduktion von CO2, insbesondere im Automobil- beziehungsweise Transportsektor.
Zudem beleuchtete unter anderem Owen Chen (Weiqiao Pioneering Group Ltd.) mit dem sog. „Carbon-Peak“ auch die Herausforderungen, die sich China aktuell stellen: Der Höhepunkt an CO2-Emissionen werde in China bis zum Jahr 2030 erwartet. Die geltenden politischen Rahmenbedingungen erfordern jedoch bis 2060 Klimaneutralität, was somit mit einer kurzen Umsetzungsdauer einhergeht. Großes Potenzial sehen die chinesischen Leichtbauexpert*innen der Session etwa im Bereich NEV (New Electric Vehicles) sowie im Recycling von Aluminium.
Der Fokus der kanadischen Session lag auf den Herausforderungen in puncto Nachhaltigkeit durch Leichtbau im Bereich schwerer Fahrzeuge wie Busse oder Wohnmobile. Organisiert wurde die Session durch die APMA, das Konsulat von Kanada in München sowie vom Vehicle Technology Centre. Die Referierenden stellten heraus, dass viele kanadische Unternehmen offen für enge Kooperationen mit europäischen Leichtbauer*innen seien. Gleichzeitig wurden innovative Leichtbaulösungen aus Kanada präsentiert, unter anderem Magnesium für Leichtbaukomponenten und -strukturen im Fahrzeugbau sowie Möglichkeiten, die Agilität in der Forschung und Entwicklung neuer Materialen zu optimieren.
Die Session der European Lightweight Association (ELA) nahm die Kongressteilnehmenden mit auf eine Leichtbaureise durch Europa. So stellte unter anderem Constanze Grützmacher (Lehrstuhl für Kunststofftechnik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) eine duale Roboteranlage für die granulatbasierte additive Fertigung zur Erforschung thermoplastischer Prozess-Struktur-Eigenschafts-Beziehungen vor. Die Session hob insbesondere das große Zukunftspotenzial kleiner und mittelständischer Unternehmen für die Nachhaltigkeit durch die Umsetzung von Leichtbauprinzipien hervor und machte gleichzeitig deutlich, dass dafür Offenheit für neue Ansätze grundlegend sei.
Key-Notes für den Wissensvorsprung: Nachhaltigkeit als Chance
Neben den praxisnahen Sessions, die den Teilnehmenden vielfältige Chancen aufzeigten, mit ihrem Leichtbau-Know-how auch im internationalen Markt Fuß zu fassen, lieferten die Key-Notes des Technologietags weitere fachliche Impulse in puncto Nachhaltigkeit durch Leichtbau. So zeigte etwa Dr. Matthias Harsch (LCS Life Cycle Simulation GmbH), das Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sein müssen. Nachhaltigkeit könne vielmehr als Chance betrachtet werden. Life-Cycle-Modelle ermöglichen es, Lieferketten zu modellieren und so als wichtige Entscheidungsstütze zu fungieren.
Die Key-Notes betonten insbesondere die Chancen der Lebenszyklusanalyse für eine nachhaltige Produktentwicklung von Beginn an. Alexandra Rudl (bwCon GmbH) bereicherte den Technologietag mit Einblicken in die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen agiler Methoden im Innovationsprozess. Ihr Vortrag gab den Teilnehmenden den Impuls mit, Methoden nie als Ziel zu betrachten, sondern vielmehr als Werkzeugkasten, um Veränderungen in Unternehmen voranzubringen.
Highlight vor Ort: Business- und Science-Touren
Für die Präsenzteilnehmenden rundeten am zweiten Konferenztag (10. November 2021) exklusive Business- und Science-Touren durch innovative baden-württembergische Unternehmen wie die TEAMOBILITY GmbH und Forschungseinrichtungen wie durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) den Technologietag ab.
Fazit: Leichtbau als Antwort auf die Klimafrage
Die Fachvorträge, Key-Notes und Diskussionen des Technologietag Leichtbau 2021 verdeutlichten: Leichtbau bietet branchenübergreifende Lösungsansätze für die großen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit und gleichzeitig attraktive Wettbewerbsvorteile. Synergien durch internationale Kooperationen ermöglichen es, das Thema global voranzubringen und so die Klimaziele zu erreichen.
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