Daten sind das neue Öl. Und eine solche Ölquelle liegt, bildlich gesprochen, in jeder Fabrik. In allen Produktionsprozessen fallen riesige Mengen von Daten an. Dieser Datenschatz ist ein wertvoller Rohstoff, den die Industrie, um im Bild zu bleiben, raffinieren und gewinnbringend verwerten kann. So lässt sich mit Erkenntnissen, die aus Big Data gewonnen werden, die Fertigung effizienter, robuster und nachhaltiger gestalten.
Außerdem sind völlig neue digitale Geschäftsmodelle möglich, wenn Produktionsdaten systematisch erhoben, professionell verarbeitet und intelligent genutzt werden. Zum Beispiel ist es möglich, Maschinen nutzungsabhängig zu bezahlen, gemessen an der Leistung, die sie in einem bestimmten Zeitraum erbringen.
Nutzen statt besitzen
Damit kann die Produktionstechnik den Wandel zu Abo-Geschäftsmodellen vollziehen: weg vom reinen Maschinenkauf und hin zu zeitlich befristeter und flexibler Nutzung. Ob die Maschine besser dem Betreiber oder dem Hersteller gehören soll, ist letztlich eine nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung.
Datenbasierte Geschäftsmodelle können dabei helfen, der Konkurrenz den entscheidenden Schritt voraus zu sein. „Für deutsche Produktionstechnikhersteller bieten sich vor allem Geschäftsmodelle in Form von Everything-as-a-Service, kurz XaaS, an. Dies sind subskriptionsbasierte Wertversprechen, die industrielle Dienstleistungen mit physischen und digitalen Elementen zu kundenorientierten Lösungen kombinieren“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart sowie des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart.
„Durch die zunehmende Datentransparenz steigt das Kundenverständnis“, so der Wissenschaftler. Maßgeschneiderte Lösungen über den gesamten Wertschöpfungsprozess könnten angeboten werden, und neue Bezahlmodelle (zum Beispiel Pay per Part oder Pay per Productivity) sowie die damit einhergehende Verschiebung von Verantwortungsübergängen stärkten die Kundenbindung. Durch Cross- und Up-Selling, so Bauernhansl, sei durch diese Art von Geschäftsmodellen auch in gesättigten Märkten Wachstum möglich. „Die neuen Wertangebote schaffen Differenzierung im globalen Wettbewerb.“
Der Werkzeugmaschinenhersteller DMG Mori AG aus Bielefeld hat diese Erkenntnis umgesetzt und liefert im Rahmen eines Angebots namens Payzr inzwischen Anlagen, die der Kunde nutzungsabhängig bezahlen kann. Das Akronym Payzr steht für Pay with zero risk. Der Kerngedanke des Abo-Geschäftsmodells ist es, Kunden genau das zu geben, was sie benötigen und wann sie es brauchen – nicht mehr und nicht weniger.
Im Detail kann Equipment-as-a-Service so aussehen: Der Kunde bestellt, konfiguriert seine Maschinen im Online-Store des Herstellers und erhält die Anlage dann gegen Zahlung einer monatlichen Grundgebühr. Diese kann je nach Konfiguration und Vertragslaufzeit – etwa 12, 24 oder 36 Monate – unterschiedlich ausfallen. Mit der Pauschale sind Wartungen, Service und Versicherungen abgedeckt.
Zur Grundgebühr kommen Kosten für die Maschinennutzung hinzu, die der Hersteller über die geleisteten Arbeitsstunden ermittelt. Vorteile für den Kunden beim Modell Nutzen statt Besitzen sind erhöhte Planungssicherheit durch Preis- und Kostentransparenz sowie die Vermeidung langfristiger Investitionsausgaben, so dass Innovationszyklen beschleunigt werden können.
Auch der Werkzeugmaschinen- und Lasertechnikhersteller Trumpf SE + Co. KG aus Ditzingen setzt auf datenbasierte Innovationen. Das Hightech-Unternehmen hat ein digitales Geschäftsmodell namens Pay Per Part geschaffen. Wie das im Detail funktioniert, erklärt Produktmanager Maximilian Rolle: „Bei Pay per Part bietet Trumpf seinen Kunden die reine Maschinennutzung seiner Laservollautomaten der Serie TruLaser Center 7030 an. Dabei steht die Anlage in der Fertigung des Kunden, aber das Trumpf Remote Control Center in Neukirch überwacht und steuert sie aus der Ferne.“
Auch bei der Programmierung und Einrichtung der Maschine unterstützen die Expertinnen und Experten von Trumpf. „Der Kunde bezahlt am Ende für die gefertigten Teile einen vorab garantierten Preis“, sagt Rolle.
Dieses Geschäftsmodell habe den Vorteil, dass der Kunde die Maschine im Dreischicht-Betrieb laufen lassen könne, ohne zusätzliches Personal einzustellen. „Kommt es zu einer Störung oder einem Stillstand, schreiten wir sofort ein. Das steigert die Maschinenauslastung und erhöht die Produktivität“, verspricht Rolle. Zudem seien die Experten von Trumpf in der Lage, das Maximum aus den Laservollautomaten herauszuholen. „Dadurch erhöht sich die Effizienz der Fertigung weiter“, so der Produktmanager.
Die industrielle Fertigung gilt als eher konservativ und neue Ideen setzen sich nur langsam durch. Das räumt auch Rolle ein: „Bei digitalen Geschäftsmodellen sind viele Kunden erstmal zurückhaltend.“ Man beobachte aber, dass Dienstleistungen, die den Kunden helfen, die Effizienz und Produktivität zu erhöhen, sehr gut ankommen. „Auch Pay per Part stößt auf immer mehr Interesse. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Anwender weiter steigt“, erklärt Rolle.
Tiefer Einblick in eigene Produktionsprozesse
Maschinendaten lassen sich auch nutzen, um Fehler in der Produktion schnell zu erkennen. Zu diesem Zweck betreibt die c-Com GmbH aus Aalen, eine Tochter der auf Präzisionswerkzeuge spezialisierten Mapal Gruppe, in einer Open-Cloud-Plattform kollaboratives Datenmanagement für Werkzeuge und andere Komponenten im Fertigungsumfeld. Damit sollen Unternehmen tiefen Einblick in ihre Prozesse erhalten und auftretende Probleme schneller lösen.
Werden Produktionsdaten in Echtzeit überwacht, so lassen sich in den Datenströmen Anomalien erkennen. Und wenn die Daten zudem im Kontext des gesamten Produktionsprozesses betrachtet werden, können die Analysen exakte Hinweise geben, welcher Produktionsfaktor – also etwa das Werkzeug, die Maschine oder das Rohmaterial – von der Norm abweichen.
Vorausschauende Wartung, also die Reparatur einer Maschine vor dem Auftreten eines Defekts, lässt sich mitIoT-Software wie MindSphere von Siemens erreichen. Die Software speichert Betriebsdaten und macht sie über digitale Anwendungen zugänglich.
MindSphere kann man sich grob vereinfacht so vorstellen wie ein Betriebssystem auf dem Computer oder dem Mobiltelefon. Es verarbeitet die Rohdaten, die in den Produktionsmaschinen mit Sensoren erhoben werden und kann durch Analyse von Mustern in den Daten erkennen, ob eine Maschine defekt ist, übermäßig viel Strom verbraucht oder bald gewartet werden muss, weil der Verschleiß eines kritischen Teils schon weit fortgeschritten ist.
Datenschutz im Blick
Digitale Geschäftsmodelle setzen Vertrauen voraus. Denn viele Unternehmen fürchten, die Hoheit über ihre Daten zu verlieren, wenn sie das Betriebsgelände verlassen und in die Cloud hochgeladen werden. Daher sind datenschutzkonforme Lösungen gefragt.
Hier setzt das Projekt Gaia-X an: Ein europäisches Konsortium soll die Grundlage schaffen für eine europäische Dateninfrastruktur, über die Unternehmen Daten vertrauensvoll zusammenführen, teilen und nutzen können. Es gibt großen Bedarf: Fast die Hälfte aller Unternehmen ab 20 Beschäftigten (46 Prozent) in Deutschland haben in einer Umfrage des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) angegeben, dass sie an der Nutzung von Diensten der europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur interessiert sind.
Datenhoheit steht auch im Zentrum des Projekts Manufacturing-X, das einen geschützten industriellen Datenraum für Produktionstechnikhersteller bieten soll. Ein Konsortium aus SAP und deutschen Maschinenbauern entwickelt daher eine Cloud-Plattform für die Fertigungsbranche, um den Informationsaustausch innerhalb eines dezentralen Datenraums mit exakt definierten Zugriffsrechten zu erleichtern. Im Zentrum steht die Idee, mit durchgängiger Datenvernetzung die Lieferketten transparenter und resilienter zu gestalten.
„In Lieferketten schaffen datenbasierte Geschäftsmodelle Transparenz, sodass Störungen frühzeitig erkannt und abgestellt werden können – beispielsweise durch Remote-Service“, sagt Fraunhofer-Wissenschaftler Bauernhansl. In der Produktion steigerten intelligente Algorithmen die Ressourcenauslastung und reduzierten dadurch Verschwendung. „Mit dem Ziel, zum Beispiel den CO2-Footprint zu reduzieren, können intelligente Algorithmen unter anderem dafür eingesetzt werden, die Produktionsplanung an die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien anzupassen“, so Bauernhansl weiter.
Das Thema Datensicherheit sei bei digitalen Geschäftsmodellen „enorm wichtig“, beteuert Trumpf-Manager Rolle. Cloudlösungen bieten heute aus seiner Sicht den bestmöglichen Datenschutz. Trumpf stelle zudem mit einer Datennutzungsvereinbarung sicher, dass der Anwender nur die relevanten und vereinbarten Daten teilt.
„Wir schaffen damit die nötigen Voraussetzungen, damit unsere Kunden selbst entscheiden können, welche Daten sie uns bei der Nutzung digitaler Geschäftsmodelle zur Verfügung stellen“, sagt Rolle. Manufacturing-X sei dabei eine mögliche Initiative, um diese Datensouveränität zu ermöglichen und könne mittelfristig zu einem neuen Industriestandard führen.
Unverzichtbar für Wettbewerbsfähigkeit
Rund 91 Prozent der deutschen Industrieunternehmen bezeichnen Industrie 4.0 als „unverzichtbar“, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wie der IT-Branchenverband Bitkom im Frühjahr 2022 ermittelt hat. Vor allem bei der Reduktion von Emissionen gibt es Potenzial, 81 Prozent erwarten einen Beitrag zu einer nachhaltigen Produktion.
Dabei setzt die deutsche Industrie auch darauf, dass sie ihren Wettbewerbsvorsprung im internationalen Vergleich, insbesondere mit Blick auf die USA und Anbieter in Fernost, nutzen kann. „Mit Bezug auf serviceorientierte Geschäftsmodelle haben wir in Deutschland durch tiefes Kundenverständnis, die sehr hohe Engineering-Kompetenz, Kreativität und Problemlösekompetenz immer noch einen Vorteil gegenüber Fernost und den USA“, sagt Fraunhofer-Wissenschaftler Bauernhansl.
Die vielen Hidden Champions in Deutschland mit ihrem stark wachsenden Leistungsangebot an neuartigen Werteversprechen seien der beste Beweis dafür. „Initiativen wie Gaia-X, Catena-X oder neuerdings Manufacturing-X helfen flankierend den Wettbewerbsvorsprung beibehalten zu können“, so der Wissenschaftler weiter. „Aktuell haben wir diesen Vorsprung noch, jedoch spüren wir den Atem der internationalen Konkurrenz bereits im Nacken – Umsetzungsgeschwindigkeit und Mut für Neues zählt!“
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