Auszeichnung für fachübergreifendes Denken

WGP vergibt Otto-Kienzle-Gedenkmünze an Dr. Christoph Hinze

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Überreichung der Otto-Kienzle-Gedenkmünze am 4. Dezember 2024 in Chemnitz, (v.l.n.r.: WGP-Präsident Prof. Michael Zäh, Dr. Christoph Hinze), Quelle: TU Chemnitz / Katja Klöden

in Ingenieurwissenschaftler, der nicht nur die Performance von fast allen Werkzeugmaschinen optimiert, sondern der auch für seine Kurzgeschichten beim Landeswettbewerb Deutsche Sprache und Literatur Baden-Württemberg einen Preis erhielt: Die WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) hat mit Dr. Christoph Hinze vom Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart einen ganz besonderen Kandidaten mit ihrer Otto-Kienzle-Gedenkmünze ausgezeichnet.
„Dass Christoph Hinze von der Literatur in die Ingenieurwissenschaften gefunden hat, ist ein besonderes Glück für uns“, freut sich WGP-Präsident Prof. Michael Zäh, der den Preis im Rahmen des WGP-Jahreskongresses in Chemnitz überreichte. „Sein fächerübergreifendes Interesse, beispielsweise an der Mathematik, hat einen großen Mehrwert für seine Forschungen gebracht. Wir brauchen  Menschen für unsere immer häufiger transdisziplinären Arbeitsgruppen.“

Die Ergebnisse von Hinzes Forschungen können sich sehen lassen. Schon vor zehn Jahren hat er für seine Bachelorarbeit, in der es um kontinuierliches Machine Learning mithilfe künstlicher neuronaler Netze ging, den Günther-Pritschow-Preis erhalten. „Ich hatte Glück mit diesem Thema und konnte darauf aufbauend gleich zwei Paper veröffentlichen“, lautet der bescheidene Kommentar von Hinze. Nachdem er auch seinen Master mit der Note „sehr gut“ abgeschlossen hat, hatte das Nachwuchstalent mit seinem ersten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt schon wieder „Glück“. Es ging um die Handhabung biegeschlaffer Teile wie Kabel und Seile mit Robotern, besonders um die schnelle und robuste Lokalisierung über Kamerabilder sowie die Regelung der Form. „Das ist ein Forschungsfeld, das stark im Kommen ist, es fehlen nur noch wenige Schritte, bis das Verfahren robust anwendbar ist“, so Hinze. Damit können künftig beispielsweise automatisiert Schaltschränke verdrahtet oder Leitungssätze in der Automobilindustrie verlegt werden.

Dr. Christoph Hinze, Quelle: Universität Stuttgart, ISW

Werkzeugmaschinen werden dynamischer

Im Zuge seiner Dissertation schließlich hat der 32-Jährige einen Weg gefunden, dank modellbasierter Lageregelung Kugelgewindetriebe dynamisch genauer zu bewegen und damit die Antriebe fast aller Werkzeugmaschinen zu optimieren.

Der Schlüssel der untersuchten Sliding-Mode-Reglung liegt im Abstraktionsgrad des Kugelgewindetriebs. „Bislang wurde in der Forschung in den meisten Regelungsansätzen die komplette Regelung ausgetauscht, wodurch die Kräftebilanz im Kugelgewindetrieb sehr genau bekannt sein muss,“ erläutert Hinze. „Bei der neuen Methode tauschen wir lediglich einen Teil, den Lageregler, aus. Dadurch kann die Regelstrecke wesentlich einfacher modelliert werden, denn die übrige Regelung fängt bereits einen großen Teil der Unsicherheiten ab. Gleichzeitig wurde für die industrielle Anwendung die Parametrierung vereinfacht, was vergleichbar zur Einstellung des bisher eingesetzten Reglers ist.“

Dank des modellbasierten Lagereglers lassen sich Fehler im Führungsverhalten der Maschine im Mittel um über 50 bis 60 Prozent reduzieren. Gleiches gilt für Fehler infolge von Störungen, die beispielsweise bei der Fräsbearbeitung entstehen. Insgesamt hat beides große Auswirkungen auf die Qualität der Bauteile.

Die modellbasierte Lageregelung lässt sich zudem auf andere Antriebssysteme übertragen, die ein ähnliches Modellverhalten aufweisen. Beispiele hierfür sind Zahnstange-Ritzel-Antriebe, die an sehr großen Werkzeugmaschinen zum Einsatz kommen, oder Antriebe in den Gelenken von Industrierobotern, was nun noch experimentell nachgewiesen werden soll.

Die Produktionsanlagen der Zukunft genauer modellieren

Um Modellierung geht es auch in der vom Land Baden-Württemberg innerhalb des InnovationsCampus Mobilität der Zukunft (ICM) geförderten Nachwuchsgruppe, die Hinze seit dem Abschluss seiner Promotion leitet. Sogenannte Grey-Box-Modelle sollen helfen, die Bahnplanung und Regelung von Maschinen mithilfe von Machine-Learning-Modellen zu verbessern und so beispielsweise eine genauere Bearbeitung mit Werkzeugmaschinen zu ermöglichen oder Prozessfehler schon vor der Bearbeitung vorherzusagen und überprüfen zu können. Bei der Methode wird bekanntes Modellwissen der Maschinendynamik weiterverwendet, nur die Abweichungen werden mittels maschinellen Lernens trainiert. Dadurch können einfachere Machine-Learning-Modelle eingesetzt werden, die auch auf der Steuerung im Echtzeittakt ausführbar sind. Solche Abweichungen entstehen beispielsweise durch Toleranzen in der Fertigung, aber auch durch Effekte, die analytisch nur mit viel Aufwand modelliert werden können.
Das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg geförderte Projekt läuft bis Ende 2026. Bis dahin wollen die Forschenden das Thema am Stuttgarter Institut und in Zusammenarbeit mit weiteren Forschungsinstituten breiter aufstellen und erste Ergebnisse in die Industrie transferieren.

Zurückgeben, was er bekommen hat

Forschung ist tatsächlich „das Ding“ für den Nachwuchswissenschaftler. „Dass die Naturwissenschaften mich reizen, hat sich schon in der Schule gezeigt“, so der Ingenieur. „Die MINT-Fächer haben mich besonders interessiert, vor allem aber fasziniert mich die mathematische Abstraktion von Systemen wie Robotern oder Werkzeugmaschinen: dass unterschiedliche Effekte sich trotzdem in ihren Gleichungen ähneln.“

Neben seinen Forschungsarbeiten hat Hinze aber auch schon früh zahlreiche Lehraufgaben übernommen. So hat er nicht nur Vorlesungen und Übungen mit organisiert und allein während seiner Promotion über 20 studentische Arbeiten betreut. „Ich habe in meinem Studium und während meiner Zeit als Doktorand viel von anderen Studierenden, Kollegen und Professoren profitiert“, sagt er. „Das möchte ich gerne weitergeben.“ Den Studierenden jedenfalls gefällt es. Sie schätzen seine engagierte Betreuung und seine motivierende Art.

Wichtig ist es, einen Schritt zurückzutreten

Hinze arbeitet viel, weil es seine Passion ist – und wenn es mit den Arbeitszeiten seiner Frau korreliert, die auch Abends- und Wochenenddienste hat. Aber es ist bei weitem nicht alles. Sein Auslandsjahr in Neuseeland hat ihm die Augen dafür geöffnet, dass man auch gute Ergebnisse erzielen kann, ohne sich allein auf die Arbeit zu fokussieren. „Es hilft, immer mal wieder einen Schritt zurückzutreten“, drückt es der Preisträger aus. „In Neuseeland haben die Menschen diesen Lebensstil verinnerlicht.“ Einen Weg in diese Richtung hat Hinze für sich im Sport gefunden. In seiner Freizeit fährt er auch mal 150 km Fahrrad, läuft einen halben Marathon oder schwimmt ein paar Kilometer. „Das ist das Kontrastprogramm zu meiner WiMi-Tätigkeit“, lacht er, „und es macht den Kopf frei.“ Für seine nächsten Forschungsprojekte vermutlich.

Kontakt:

www.wgp.de