(Von Frank Dietsche) Er hat das kleine Luxemburger Unternehmen Cerametal mit Sitz in Mamer zu einem Global Player entwickelt. In einem Gespräch mit Zerspanungstechnik.de erzählt der langjährige Ceratizit-Chef und Hobby-Zerspaner Thierry Wolter über seine Sicht der Dinge.
Wie sind Sie zu Cerametal gekommen und was waren die Highlights?
(Lacht) Ja, das war schon sehr interessant. Ich hatte Werkstoffwissenschaften studiert, bei einem Unternehmen Erfahrungen gesammelt und danach noch einen MBA gemacht. Als ich dann zu Cerametal gekommen bin, sagte Jean Paul Lanners zu mir: „Thierry du bist Metallurge, du gehst hinters Mikroskop“. Ich dachte damals was ist jetzt passiert? Und ich denke heute noch oft daran. Aber es war der richtige Weg, da ich alles von der Pike auf lernen musste. Ein Highlight war damals für mich, dass wir Keramikventile entwickelt und in die Formel 1 verkauft haben. Allerdings waren wir schon bald viel zu teuer.
Danach habe ich 1998 den Vertrieb übernommen. Das hat Spaß gemacht, weil Vertrieb und Technik mein Ding war. Und von da an ging es voran.
Der erste Schritt zum Global Player?
Ein Highlight ist sicher unser Werdegang. Wir sind von einem kleinen Nischenspieler wie Cerametal es einmal war, bis heute zu einem Global Player gewachsen.
Wie haben Sie das geschafft?
Ein Meilenstein war, als wir 2002 mit den Österreichern von Plansee fusioniert sind. Wir hatten bis dahin sehr hart gegeneinander gekämpft. In den DACH-Regionen, wo Plansee stark war, wollten wir reinkommen, und wo wir stark waren in Deutschland und Benelux wollten sie mehr Anteile. Von da an sind wir vom Regionalspieler zu einem europäischen Spieler aufgestiegen. Zu dieser Zeit war der Markt noch überwiegend europäisch unterwegs. Allerdings waren damals auch schon die Märkte in USA und China am Kommen.
Wir wussten, dass in der Zerspanung und im Verschleiß noch Wachstumspotential liegt. (Lacht) Für mich persönlich war das schön, da die Zerspanung und auch F&E schon damals meine Hobbys waren.
War die Fusion mit Plansee sozusagen eine Art Zweckehe?
Die Fusion war schon auch mit Emotionen verbunden. Das Bewusstsein, dass man nicht mehr alleine entscheiden kann, war damals nicht einfach. Dazu kam, dass, obwohl wir die gleiche Sprache sprachen, doch ein Unterschied in der Mentalität da war. (Lacht) Wir hatten uns in Luxemburg dazu entschieden, in Reutte in Österreich in Hartstoffrecycling zu investieren. Als dann dort ein Felsen für das Bauvorhaben gesprengt wurde, haben sich die Leute gewundert, denn die Freigabesitzung des Aufsichtsrats war erst drei Wochen später geplant. Da wurde schon klar, wie unterschiedlich unsere Kulturen sind. Aber es hat funktioniert.
Wie war das bei ihren Akquisitionen, die Sie in den Folgejahren getätigt haben?
Es war nicht einfach, nach der Fusion die Kulturen zusammenzukriegen. Ich habe in meiner Karriere gelernt, dass das Kulturelle gerade bei der Zusammenführung von Unternehmen enorm wichtig ist, bleibt und immer wichtiger wird. Da sind einerseits die nackten Zahlen, auf der anderen Seite aber auch die Kultur. Und die Kultur sind die Menschen. Du kannst nicht einfach sagen, das funktioniert jetzt so oder so. Das ist ein schwieriger Prozess und dauert einige Jahre. Wir haben da viel gelernt und bei den Akquisitionen davon profitiert. Was immer gut funktioniert hat, wenn wir Familienunternehmen gekauft haben. Wir bei Ceratizit sind zwar kein klassisches Familienunternehmen, aber ein privat geführtes Unternehmen und wie eine große Familie. Und wir haben sehr ähnliche Werte wie ein Familienunternehmen. Das hat uns sehr dabei geholfen, die Unternehmen zu integrieren.
Auch bei der Übernahme der Marke Komet, die am deutschen Markt nicht mehr so präsent ist?
Da muss man die deutsche Brille oder die europäische absetzten. In den USA und auch anderen Ländern ist die Marke Komet noch immer sehr bekannt. Wir produzieren nach wir vor, zwar etwas abgespeckt, am Komet-Standort in Besigheim. Wobei Deutschland als Produktionsstandort durch Vorschriften etc. schon eine Herausforderung ist. Mit dem Zukauf von Komet sind wir in die Champions League aufgestiegen. Und wir haben das ganze Potential noch gar nicht ausgeschöpft.
Wir befinden uns in einer schwierigen Weltsituation. Ist der Zeitpunkt aufzuhören gut getimt?
(Nachdenklich) Klar ist eine schwierige Situation. Aber es ist ja nicht die erste schwierige Situation. Zwischen 2002 und 2008 waren wir Schönwettermanager. Es ist alles nach oben gegangen. Und dann kam die Bankenkrise bzw. Lehman Brothers. Die Auftragseingänge sind extrem zurückgegangen und man wusste nicht wo es hingeht. Das war schon unglaublich und die erste große Krise, die ich erlebt habe. Eine bittere Erfahrung. Heute ist der Zerspanungsmarkt zwar nicht gut, aber es ist auch nicht richtig schlecht. Die Automobilindustrie läuft gut, Aerospace hat deutlich zugelegt, nur die Baubranche läuft seit längerer Zeit nicht. Aber ich denke, dass dort die Talsohle, was unsere Produkte angeht, erreicht ist.
Wir haben krisenerprobte Manager und in den vergangenen Jahren unsere Hausaufgaben gemacht. Wir sind schlanker und effizienter geworden und sind auch ein finanzkräftiges Unternehmen, das schnell reagieren und investieren kann. Krise ja, aber es war schon deutlich schlimmer. Also muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich jetzt aufhöre.
Wettbewerb aus Asien oder speziell aus China?
Ich habe vor 20 Jahren eine Analyse gemacht und ein Ergebnis damals war, dass China ein harter Wettbewerber wird. Heute, also 20 Jahre später, sind die Chinesen da, aber längst nicht so, wie ich es erwartet habe. Sie werden immer mehr kommen, doch sie müssen die Qualitätsanforderungen und die Vertriebswege bei den Zerspanungswerkzeugen erst mal hinbekommen. Dazu kommt, dass viele wieder ein westliches Hartmetall wollen, um unabhängig von China zu sein. Und es ist ja so, dass auch von chinesischen Unternehmen künftig der Carbon Footprint dargestellt werden muss.
Ist Ceratizit abhängig von Rohstoffen aus China?
Wir sind schon jetzt zu 100 Prozent unabhängig. Wir haben die Rohstoffe. Wir haben ausschließlich Verträge mit Minen in der westlichen Welt. Durch unser Recycling haben wir es geschafft, dass unser Hartmetall zu 90 Prozent aus Sekundärrohstoff besteht. Das ist sehr viel und auch der Grund, weshalb unser Carbon Footprint so niedrig ist.
Sie haben sich persönlich für Nachhaltigkeit und auch eine PCF-Klassifizierung (Product Carbon Footprint) für Ihr Unternehmen öffentlich gemacht. Ist dies im internationalen Wettbewerb und dem hohen Preisdruck am Markt nicht ein zusätzlicher Kostenfaktor?
Wir haben es bis heute mit vielen Maßnahmen geschafft, unseren relativen Footprint um 40 Prozent zu senken. Und das ist schon sehr viel.
Wir haben auf grünen Strom umgestellt. Jetzt investieren wir in eigenen, grünen Wasserstoff in einer Kooperation mit Linde am Standort Reutte. In Luxembourg machen wir es auch, sind aber noch in der Planungsphase.
Selbstverständlich waren die ersten Maßnahmen teuer. Und die nächsten Schritte werden auch kostenintensiv. Aber wir machen das aus Überzeugung und für die Zukunft.
Wenn man ein neues Produkt bringt, wird in Zukunft das Thema Nachhaltigkeit zusätzlich zu Preis, Service, Lieferzeit eine große Rolle spielen. Innerhalb des VDMA-Präzisionswerkzeuge sind wir dabei, gemeinsam einen Standard zu erarbeiten, der vielleicht zum europäischen oder sogar weltweiten Standard wird. Und das würde auch einen immensen Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen bedeuten.
Sie sagten einmal, Ceratizit hat das Ziel, das drittgrößte Unternehmen in der Branche zu werden. Gilt das noch?
Wir sind geopolitisch gut aufgestellt. Wenn wir Nummer 3 werden wollen, müssen wir in Asien und Amerika erfolgreich sein. Die Nr. 3 zu sein, ist eigentlich kein Ziel. Die kritische Größe, um ein Unternehmen erfolgreich und attraktiv zu gestalten erhöht sich Jahr für Jahr. Es kommen immer mehr Herausforderungen – ob Gesetzte oder Fachkräftemangel – auf die Unternehmen zu. Das muss man sich leisten können. Und das ist für ein großes Unternehmen einfacher.
Meinen Sie mit attraktiver in Bezug auf Fachkräfte?
Wir wollen mit unseren Produkten erfolgreich sein. Dazu brauchen wir gute Leute. Um diese zu bekommen, muss man ihnen etwas bieten können. Die Menschen möchten einen Job, in dem sie Karriere machen können.
Neben den finanziellen Aspekten und dem Arbeitsumfeld werden die Leute auch darauf schauen, ob das Unternehmen nachhaltig und zukunftsorientiert arbeitet. Wir wollen und brauchen die besten Fachleute.
Um Innovationen oder vielleicht sogar revolutionäre Lösungen anzubieten?
Es wird im Bereich der Werkzeuge sicher weiterhin Innovationen in Bezug auf Leistung etc. geben. Gibt es noch die revolutionären Ansätze? Bei Ceratizit war unser Free Turn Werkzeug (Anmerkung: Schruppen, Schlichten, Konturdrehen, Plan- und Längsdrehen mit nur einem Werkzeug) beispielsweise ein Ansatz, das Drehen zu revolutionieren. Aber es hat sich noch nicht durchgesetzt. Warum? Weil die Programmierung oder die Maschinen etc. noch nicht da waren. Aber es wird noch kommen.
Es wird auch weiterhin Innovationen oder auch revolutionäre Ansätze für Produktivitätssprünge geben. Aber es wird immer schwieriger.
Wie sieht die Zukunft von Thierry Wolter aus?
In erster Linie mehr Zeit für die Familie zu haben. Ich kann aber nicht sagen, was noch kommt. Es werden vielleicht Möglichkeiten kommen. Aber ich weiß, was ich nicht machen werde. Nichts in der Zerspanung. Schon aus etischen Gründen nicht. Und auch weil es mir bei Ceratizit sehr viel Spaß gemacht hat. Besser kann es nicht werden. Den Rest lassen wir auf uns zukommen.
Vielen Dank für das sehr sympathische und offene Gespräch.
Das Interview führte Frank Dietsche im Dezember 2023.
Kontakt: