Digitalisierung in der Metallbearbeitung

Die Themen Industrie 4.0 und IIoT sind in der Metallbranche seit Jahren präsent. Wie weit ist die Digitalisierung in den Unternehmen fortgeschritten und welche neuen Ansätze und Lösungen gibt es? Ein Trendbericht zur AMB 2024 gibt Aufschluss.

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Die Sonderschau umati zeigt, wie Maschinen und Anlagen untereinander kommunizieren oder in kunden- und anwenderspezifische IT-Ökosysteme integriert werden können. Bild: Messe Stuttgart

„Stand heute ist der Digitalisierungsgrad auf Shopfloor-Ebene immer noch erschreckend niedrig und wenn überhaupt, geprägt von Insellösungen.“ Diese Aussage eines Umfrage-Teilnehmers unter Ausstellern der diesjährigen AMB zeigt die Wahrnehmung des grundsätzlichen digitalen Reifegrades in der Metallbearbeitung. Zu häufig heißt es im Maschinen- und Anlagenbau noch immer: „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzen wird…“

Trotz der offensichtlichen Zurückhaltung vieler Anwender und gescheiterter Versuche digitale Plattformen zu etablieren, sind im Jahr 2024 die Themen Industrie 4.0 und IIoT keine Unbekannten in Maschinenbau und Metallbearbeitung. Es ist alles da, was es braucht, um zeitgemäße Konzepte anzugehen. Schon seit Jahren ist mit OPC UA beziehungsweise Umati eine angepasste, universelle Werkzeugmaschinenschnittstelle vorhanden. Mit 5G-Campusnetzen ist ein leistungsstarker privater Mobilfunkstandard für die Vernetzung von Maschinen und Anlagen verfügbar. Und das Knowhow ist auch vorhanden. Nur ein Beispiel: Steuerungstechnik-Anbieter wie Fanuc, Heidenhain oder Siemens zeigen in angrenzenden Fertigungsbranchen längst im täglichen Einsatz, welcher Nutzen in der Digitalisierung liegt.

Daher wundert es nicht, dass auch viele Teilnehmer einer Umfrage unter AMB-Ausstellern das Thema Digitalisierung betonen. Sie wollen auf der internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung in diesem Jahr in Stuttgart den Nachweis antreten, dass integrative Digitalisierungsansätze bereits heute dazu gehören – allen voran die Software-Anbieter. Beispielsweise vernetzt das 2015 gegründete Unternehmen Evomecs Maschinen, Systeme und Prozesse markenneutral und ortsunabhängig. Die Münchener sehen sich als Treiber für die Digitalisierung, um dem zunehmenden Rationalisierungsdruck, dem wachsenden Fachkräftemangel und einem intensiven internationalen Wettbewerb zu begegnen. Diejenigen Unternehmen, denen es gelänge, bereits heute die richtigen Maßnahmen in die Wege zu leiten, würden in Zukunft als Produktionsunternehmen erfolgreicher, aber auch resilienter sein, da sie Ihre Wertschöpfung auf digitale Geschäftsmodelle ausweiten können.

Mit-Bits-und-Bytes-gegen-die-Krise_Sensor_Horn-OPC-UA.JPG: Schon seit Jahren ist mit OPC UA bzw. umati eine angepasste, universelle Werkzeugmaschinenschnittstelle für die Digitalisierung vorhanden. Bildn: Paul Horn GmbH

Die Evomecs-Software integriert alle relevanten Bestandteile eines zerspanenden Unternehmens, wie ERP-Systeme, CAM-Systeme, Werkzeugvoreinstellgeräte, Werkzeuge, Werkstücke, Lagersysteme, CNC-Maschinen aber auch manuelle Arbeitsplätze. Das so erzeugte Ökosystem generiert viele qualitativ hochwertige Daten über die eigenen Fertigungsprozesse. Diese Daten können prinzipiell auch für die Entwicklung von datengestützten oder datengetriebenen Geschäftsmodellen genutzt werden, so das Unternehmen.

Produzierende Unternehmen müssten immer schneller und effizienter fertigen. Gerade bei der Produktion von kleinen Stückzahlen entstünde dabei ein enormer Kommunikations-, Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand, der zudem leicht zu teuren Fehlern und Schäden in der Fertigung führen könne und ein hohes Maß an Fachkompetenz entlang des kompletten Fertigungsprozesses benötige. Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels müssten Unternehmen optimieren, automatisieren und damit auch digitalisieren, ist man sich bei Evomecs sicher.

Mithilfe der Evomecs-Software entstünde ein wertvoller Datenschatz, der prinzipiell die Grundlage für verschiedenste Anwendungen beispielsweise der künstlichen Intelligenz sein kann. Nutzer können sich Informationen aus der Fertigung generieren lassen, die zur Optimierung der Prozesse herangezogen werden könnten. Gearbeitet wird in München derzeit an Konzepten, die Datenanalysen, Prozessoptimierungen, Planungs-Forecasts aber beispielsweise auch die auf Spracheingabe gestützte Steuerung der Fertigung ermöglichen.

Mit Simulation zur raschen Produkteinführung

Auch im Zentrum der Maschine, im Zerspanungsvorgang selbst, steckt in digitalen Lösungen ein großes Optimierungspotenzial. Modellierungen und Simulationen optimieren den späteren Betrieb und ermöglichen höhere Schnittgeschwindigkeiten und Vorschübe sowie eine längere Werkzeuglebensdauer. Der CAE-Anbieter Third Wave Systems stellt virtuelle Testumgebungen zur Verfügung, die zu weniger Ausfallzeiten führen und Trial-and-Error-Tests überflüssig machen.

Der Trendbericht zur AMB 2024 gibt Aufschluss über den Stand der Digitalisierung in der Metallverarbeitung. Bild: Landesmesse Stuttgart

Auf der AMB 2024 wird das Unternehmen technische Innovationen vorstellen, die Markteinführungszeiten deutlich verkürzen. Besucher können erleben, wie eine virtuelle Iteration im Vergleich zu Versuchen an der Maschine sowohl die Zahl der Versuche als auch die der Fehler deutlich verringert. Dies führe zu einem fundierten Design-for-Manufacturing-Prozess mit dem Fokus auf „First-Time-Right“. Der geringere Arbeitsaufwand für die manuelle Nachbearbeitung lässt die Maschinenlaufzeiten um 50 Prozent sinken, so das Unternehmen.

Zu den Herausforderungen gehören jedoch noch immer bei Anwendern ein umfassendes Verständnis der strategischen Beweggründe, der erforderlichen Umstellung der Denkweise auf eine flüssige, flexible Simulationstechnologie zu erreichen. Am Ende, so das Unternehmen, lohne sich die materialspezifische Modellierungs- und Simulationstechnologie. Die US-Amerikaner erhalten dieses Feedback bereits heute aus der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie und der orthopädischen Medizintechnik.

Werkzeuge verwalten

Die Digitalisierung gehört auch für die Grob-Werke zum Arbeitsalltag. Zur AMB in diesem Jahr habe man den digitalen Werkzeugkreislauf im Fokus. Dieser sei besonders relevant, um sinnvoll gegen steigende Produktionskosten anzugehen. Daher widmet sich der entsprechende Bereich des Familienunternehmens aus Mindelheim in diesem Jahr der Automatisierung von Prozessen rund um das Werkzeug. Durch zahlreiche Kooperationen mit Herstellern von Werkzeugverwaltungssystemen und Voreinstellgeräten bietet Grob Anwenderinnen und Anwendern die Möglichkeit, sich deutliche Kosteneinsparungen im Umgang mit Zerspanungswerkzeugen zu sichern. Die zugrundeliegende Lösung nennt sich GROB4TDX und ermöglicht die Digitalisierung des Werkzeugkreislaufs in der gesamten Produktion, unabhängig vom Maschinenhersteller. Dies sei ein essenzieller Schritt hin zu einer kostengünstigen und ressourcenschonenden Produktion, so das Unternehmen.

Ein weiterer Maschinen-Hersteller betont neben der Hardware auch Neuerungen im digitalen Bereich. MTE Deutschland produziert Bettfräsmaschinen und Fahrständermaschinen. Auf der AMB in Stuttgart wird die Starrbettfräsmaschine SBM 8000 ausgestellt. Sie heißt so, da der über Flur montierbare starre Tisch für eine hohe Grundstabilität sorgt. Einen bedeutsamen Schritt in Richtung Digitalisierung in der Fertigungsindustrie sieht man in Montabaur jedoch aus einem anderen Grund: Diese Maschine ist mit der neusten Steuerung Heidenhain TNC 7 ausgestattet. Eine Technik, die Funktionen bietet, um sowohl Effizienz als auch Produktivität in der CNC-Bearbeitung signifikant zu steigern, lautet die Aussage. CAD/CAM-Daten werden nahtlos integriert, wodurch die Programmierung von Werkstücken schneller und präziser wird. Die intuitive Multitouch-Bedienung und die grafische Benutzeroberfläche erleichtern die Bedienung und verbessern die Benutzererfahrung erheblich. Darüber hinaus bietet die TNC 7-Steuerung eine Reihe von Smartfunktionen, wie etwa die automatische Werkstückantastung und die grafische Unterstützung beim Ausrichten von Spannmitteln. Diese Funktionen vereinfachen den Einrichtungsprozess und optimieren die Arbeitsabläufe. Ergebnis sei mehr Effizienz und Präzision, so der Anbieter.

Start-Ups und junge innovative Unternehmen präsentieren ihre Lösungen und Ideen für die Digitalisierung ebenfalls auf der AMB 2024. Bild: Landesmesse Stuttgart

Digitale Geschäftsmodelle

Schlanke Arbeitsabläufe hat auch ein noch junges Unternehmen im Sinn. Spanflug Technologies ist eine Ausgründung der Technischen Universität München und des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften. Die Gründer Markus Westermeier und Adrian Lewis verfolgen den Plattform-Ansatz: Sie versammeln Fertigungsbetriebe, die in einem digitalisierten Workflow Teile produzieren.

Mittlerweile besteht das Netzwerk aus mehr als 300 qualifizierten Fertigungspartnern aus Deutschland und Österreich. Unter ihnen, so das Versprechen, finden Nutzer den idealen Lieferanten für jedes CNC-Teil und produzieren bzw. liefern es ab sechs Arbeitstagen. Da auch die Angebotserstellung für Dreh- und Frästeile viel Zeit und Ressourcen kostet, lautete die Überlegung hinter dem Geschäftsmodell, dass die Automatisierung administrativer Aufgaben deutlich einfacher sein könne als die Optimierung der Fertigung selbst.

Allerdings lassen sich komplexe Aufgabenstellungen wie im Bereich der automatisierten Kalkulation für die Zerspanung nicht in kurzer Zeit mit vorgefertigten KI-Modellen oder zugekauften Softwarekomponenten bewältigen. Hier brauche es einen langen Atem und die richtige Mischung aus Branchenkenntnis und Technologie-Knowhow.

Heute bietet die Plattform zwei Zugänge: eine Beschaffungslösung für Anwender und eine Angebotslösung für Lohnfertiger. Erstere sollen Kosten und Fertigungszeiten für die zerspanende Bearbeitung sparen. Hersteller profitieren bei der Nutzung der Plattform vom Verzicht auf aufwändige IT-Projekte und große Investitionen. Die Gründer sind stolz darauf, Bauteilbedarfe mit spezialisierten Fertigungsbetrieben und ihren mehr als 6.000 Maschinen zusammenzubringen. Die digitale Plattform ermögliche den effizientesten Einsatz wertvoller Ressourcen im Netzwerk, Lasten auszugleichen und Stillstände zu vermeiden.

Zur AMB wird Spanflug eine erweiterte Version der Software präsentieren, die neben den Fertigungszeiten und Preisen auch einen Arbeitsplan ausgibt. Dieser macht zum einen die Kalkulation besser nachvollziehbar, da die automatisch kalkulierten Kosten und Fertigungszeiten gegliedert nach Arbeitsschritten einsehbar sind. Zum anderen werden Anwender noch besser in der Arbeitsvorbereitung unterstützt. „Durch diesen völlig neuen Ansatz stehen alle fertigungsrelevanten Informationen wie benötigte Werkzeugmaschinen und Arbeitsschritte bereits zum Zeitpunkt der Angebotserstellung zur Verfügung und können unkompliziert in ERP-Systeme übernommen werden,“ erklärt Dr. Markus Westermeier, CEO von Spanflug.

Vorarbeit leisten und Zeit sparen

Der Siemens-Konzern lenkt den Blick wieder in die Produktionshallen der Unternehmen: Ein Austausch von Maschinen in einer Produktion kann bei guter Auslastung für Engpässe und Lieferverzögerungen führen. Ein Zustand, der manch einen Fertigungsleiter in die Zwickmühle bringt: Man braucht die neue Maschine mit mehr Kapazität und Leistungsumfang sobald wie möglich, hat aber eigentlich keine Zeit sie auszutauschen. Denn es kommt nicht selten vor, dass hunderte CNC-Programme von alten auf neue Steuerungen, auch desselben Herstellers, übertragen werden müssen. Siemens-Ingenieure haben sich gefragt, wie bei einem Ersatz einer bestehenden Maschine möglichst ohne Unterbrechung der Fertigung weiter produziert werden kann. Eine Lösung bietet das Offline-Programmiertool SinuTrain von Siemens. Diese „virtuelle CNC“ verhält sich exakt wie die reale CNC in der Maschine: Hier arbeitet dieselbe Sinumerik-Operate-Version wie auf der entsprechenden zukünftigen Maschine, mit denselben Maschinendaten der realen Maschine. Konsistenz und Syntax der CNC-Programme können so im Vorfeld bestmöglich getestet werden.

Hinzu kommt, dass dem SinuTrain-Anwender genau dieselben CNC-Editoren wie an der Maschine zur Verfügung stehen. So kann das Bedien- und Programmier-Know-how der Spezialisten im Shopfloor für die Arbeitsvorbereitung genutzt werden. Im Resultat entspricht die neue Maschine vom ersten Tag an genau dem Verhalten der virtuell vorbereiteten. Eine Lösung, die ohne den digitalen Zwilling nicht möglich wäre.

Lagerbestände im Dauer-Blick

Software-Lösungen optimieren auch den Bestellprozess von Materialien, die bearbeitet werden sollen. Beispiel Bikar Aerospace: Seit 2016 hat sich das Unternehmen als Metall-Servicecenter für die Luft- und Raumfahrtindustrie positioniert. Alle Services rund um die Materialbeschaffung, -vorbereitung und -lieferung werden aus einer Hand angeboten. Das Ziel lautet, schnellstmögliche Reaktionen auf Materialabruf und -planung von Anwendern zu bieten. Ein Contract-Monitoring-Tool stellt Echtzeitdaten von Lagerbeständen zur Verfügung und ermöglicht einen ständigen Abgleich der an einzelnen Standorten benötigten Waren mit den Lagerbeständen bei Bikar. Dieser Forecast Monitor gewährleistet jederzeit einen sicheren Überblick über die Lieferkette. So können Nutzer frühzeitig auf Unwägbarkeiten des Weltmarkts reagieren. Ziel ist es, mit der Entwicklung eigener Softwarelösungen und einer intelligenten Vernetzung der Anlagen den Weg in die digitale Zukunft des Metallhandels zu ebnen.

Diese Beispiele mit unterschiedlichen Ansätzen zur Digitalisierung der Metallbearbeitungsbranche zeigen trotz mancher Zurückhaltung die Breite des Marktes. Dies wird auch auf der AMB in diesem Jahr vom 10. – 14.09.2024 in Stuttgart deutlich werden. Digitale Konzepte werden sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung ziehen und Werkzeugmaschinen und ihre Steuerungen, Automatisierungslösungen rund um die Maschinen, eingebettete Messtechnik und kollaborative Robotik miteinander vernetzen. So bringt die Digitalisierung die Branche voran auf dem Weg nachhaltiger und effizienter zu produzieren und im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

Kontakt:

www.amb-messe.de