Hilfestellung für resilientere Produktion

Der Begriff Resilienz ist spätestens seit der COVID-19-Pandemie in aller Munde – gerade in Bezug auf die zukünftige Gestaltung der Industrie. Auf ihrer Frühjahrstagung beschloss die WGP konkete Maßnahmen hierzu darzustellen. Mit einer Publikation zum Thema sei Ende des Jahres zu rechnen. 

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Resiliente Produktion ist machbar (Bildnachweis: Adobe Stock/littlewolf1989)

Disruptive Ereignisse wie die Pandemie werden künftig häufiger auftreten, sei es aufgrund knapp werdender Rohstoffe, Klimakrisen oder Handelskriege. Umso wichtiger ist es, resiliente Produktion in den Fokus zu rücken. Doch was bedeutet eigentlich resiliente Produktion?, fragten die Professorinnen und Professoren der WGP (Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik) auf der einmal mehr online abgehaltenen Frühjahrstagung am 5. und 6. Mai 2021.

Alles dreht sich um den schwarzen Schwan

„Wir können für die Zukunft nicht eine resilientere Produktion fordern, ohne zu definieren, was genau darunter zu verstehen ist“, erläutert Schmitt. „Resilienz ist kein „schönerer“ Begriff für Flexibilität oder Robustheit. Sie beinhaltet diese, ist aber mehr als das.“ Der Begriff wird selbst innerhalb der Ingenieurwissenschaften nicht einheitlich gebraucht. Auf der Tagung definierten die Professor*innen der WGP deshalb den Begriff als Fähigkeit eines (Produktions-)Systems, angesichts von Störungen die wertschöpfende und wirtschaftliche Betriebsfähigkeit zu erhalten oder nach einem Einschnitt zumindest schnell wieder auf ein Minimum hochzufahren.

„Es ist kurz gesagt der Umgang mit einem von Nassim Taleb so benannten ,Schwarzen Schwan‘, also mit seltenen und unvorhergesehenen, scheinbar überraschenden Ereignissen. Einem resilienten Unternehmen sollten sie wenig bis nichts anhaben“, umschreibt es Schmitt. Dabei reicht es jedoch nicht aus, die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen. Letztere muss auch an die veränderte Umgebung angepasst werden. „Es stellt sich die Frage, wo wir die Grenzen des Systems festlegen. Wird beispielsweise eine Maschine, eine Prozesskette oder die komplette firmeninterne Produktion betrachtet? Werden auch die gesamte Lieferkette und potenzielle Netzwerke miteinbezogen?“

Prof. Robert Schmitt, Mitglied des Direktoriums des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen (Bildnachweis: WZL Aachen)

Ohne weiter Digitalisierung geht es nicht

Die neuen theoretischen Ansätze müssen natürlich auch technologisch umgesetzt werden. Hier arbeitet die WGP schon seit vielen Jahren an verschiedenen Lösungsansätzen. Die digitalisierte Produktionsplanung und -steuerung ist eine davon, die Biologische Transformation der Fertigungstechnologien eine andere. Bei letzterer lernen die Systeme zum Beispiel Selbstorganisation, wie sie in der Natur selbstverständlich sind, um mit der „Plastizität des Lebens“ umzugehen.

Bezogen auf die Produktion hieße das, abhängig von äußeren Umständen einen reibungslosen Wechsel zwischen kleineren und größeren Losgrößen zu vollziehen oder Ressourcen bedarfsgerecht und minimal einzusetzen. Erfolgreiche Unternehmen zeigen mit Blick auf eine Fertigungsanlage oder eine ganze Fabrik bereits, wie Energie flexibel beschafft beziehungsweise verteilt werden kann.

Ohne die Potenziale von Künstlicher Intelligenz und lernenden Systemen zu heben, wird das alles aber nicht zu schaffen sein. „Mithilfe von digitalen Zwillingen, die anwendungs-bezogen ihren digitalen Schatten werfen, schaffen wir es, mehr, andere und bessere Vermeidungsstrategien zu etablieren. Wir wollen mit den digitalen Schatten die Ereignisse prognostizieren, indem wir sie in der digitalen Welt durchspielen und herausfinden, wie wir sie in der Realität beherrschen können.“

Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen erreicht auch, wer sein Produktionswissen nicht nur durch die Nutzung geeigneter Prozessdaten erweitert, sondern es darüber hinaus dezentralisiert. „Wir brauchen bereichs- und firmenübergreifende Strukturen mit hoher Datenverfügbarkeit in den entstehenden Datenräumen“, mahnt Schmitt. „Kollaboration wird künftig einen viel höheren Stellenwert genießen.“

Der entscheidende Faktor bleibt der Mensch

Digitale Schatten, Künstliche Intelligenz oder vertrauenswürdige Dateninfrastrukturen sind Voraussetzungen, jedoch nicht allein die Garanten für eine sich äußeren Bedingungen anpassende Produktion. „Der alles verbindende Faktor ist und bleibt der Mensch“, konstatiert der Aachener Produktionstechniker.

„Die Mitarbeitenden müssen dahingehend qualifiziert werden, dass sie auf plötzliche Veränderungen kompetent reagieren können. Das heißt, sie müssen zum Beispiel nicht nur ihren Job an der Maschine machen können, sondern auch daran mitwirken, das System ,Industrie‘ sicherer zu machen. Das wiederum bedeutet, sie benötigen Unterstützung für übergeordnetes Handeln, das über die operative, lokale Tätigkeit ihres Alltags hinausgeht. So können beispielsweise Unregelmäßigkeiten in einzelnen Prozessen früher erkannt werden, wenn die Mitarbeiter sich für vor- und nachgelagerte Prozessschritte verantwortlich fühlen.“

Für Unternehmen oder Organisationen kommt das flacheren Hierarchien gleich. Der Mensch an der Maschine übernimmt mehr Verantwortung für Entscheidungen und Führungskräfte werden verstärkt als Coaches arbeiten. „Unsere Publikation wird deswegen nicht nur auf die technologischen Grundlagen eingehen, sondern auch auf Wirkzusammenhänge und den Netzwerkgedanken“, so Schmitt. „Wir werden Strategien aufzeigen, mit denen sie selbst bei Ereignissen wie der derzeitigen Pandemie zukunftsfähig bleiben.“

Kontakt:

www.wgp.de