Klimaziele im Blick dank Ökobilanz

Wie wird es möglich, einen Einstieg in die CO2-Bilanzierung zu finden? Ein Thema, das auch im Vorfeld der EMO Hannover 2023 diskutiert wird. Der VDW und gleichzeitig der Veranstalter der Fachmesse bietet seinen Mitgliedern hierbei Hilfestellung an.

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Es zahlt sich aus, die Teilsysteme Maschine, technische Infrastruktur und Gebäude aufeinander abzustimmen. Durch Vernetzung, Energiecontrolling und -rückgewinnung lässt sich der Energiebedarf in der Fabrik nach Einschätzung von ETA-Solutions um etwa 40 Prozent reduzieren. (Bildnachweis: Mafac E.Schwarz GmbH & Co. KG)

Wie groß ist der CO2-Fußabdruck eines Unternehmens? Wie groß darf er für dessen Produkte und deren Emissionen im Betrieb sein? Und wie gestaltet sich der Weg zur klimaneutralen Fabrik? – Im Vorfeld der EMO Hannover 2023, Weltleitmesse der Produktionstechnologie mit ihrem Themenschwerpunkt „Future of Sustainability in Production“, diskutieren Expertinnen und Experten die Bedeutung technologischer und methodischer Fortschritte einer Industrie, die rund um den Globus Fabriken mit Fertigungsanlagen ausstattet.

Der Maschinenbau gilt als Enabler, um Treibhausgase zu reduzieren und ambitionierte Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig wird an die Unternehmen der Branche appelliert , auch selbst den Einstieg in die klimaneutrale Produktion zu finden und dies möglichst schnell.

CO2-Fußabdruck von Unternehmen und Produkten ermitteln

Europa soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. Auch wenn es gegenwärtig noch keine Regulierung gibt, die Unternehmen die Klimaneutralität vorschreibt, so heißt es aus dem Brüsseler Büro des VDMA, hat die EU mit dem Green Deal die Spielregeln für die Industrie definiert. Zum einen wird es zwingend, ressourcenschonend zu produzieren. Zum anderen soll der Ausstoß des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid drastisch reduziert werden.

Dazu plant die EU, Importe aus Drittstaaten mit einer CO2-Grenzsteuer zu belegen. CO2-Kosten, die durch die Verknappung von Emissionsrechten steigen, sollen die Nachfrage nach klimafreundlichen Technologien fördern. Jedes Unternehmen wird seinen CO2-Fußabdruck bilanzieren müssen, jedes Produkt bekommt einen Digitalen Produktpass (DPP). Stehen zunächst noch vor allem Konsumgüter im Fokus, dürfte es mittel- und langfristig nicht mehr nur um Jeans und Batterien, sondern auch um Werkzeugmaschinen gehen.

Mit der Frage, wie Unternehmen jetzt den zügigen Einstieg in die CO2-Bilanzierung finden und wie sie dabei unterstützt werden können, beschäftigt sich auch der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Veranstalter der EMO Hannover 2023. Um Informations- und Unterstützungsbedarf zu erfragen, wurden Mitgliedsunternehmen unlängst zu einem Online-Workshop eingeladen. Eine kurze Umfrage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ergab, dass sich bereits knapp 60 Prozent von ihnen mit konkreten Anforderungen von Kundenseite konfrontiert sehen. Eine CO2-Bilanz erwarten zunehmend auch Banken, Behörden und Partner in der Lieferkette.

Bilanzierungsrahmen: das Greenhouse Gas Protocol

Für die CO2-Bilanzierung orientieren sich viele Unternehmen am Greenhouse Gas Protocol (GHGP), einem international anerkannten Standard, der Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen in drei so genannte Scopes (Bereiche) unterteilt.

Scope 1-Emissionen beziehen sich auf direkte Emissionen eines Unternehmens aus der Verbrennung fossiler Energieträger, also etwa durch beheizte Hallen oder den eigenen Fuhrpark. Scope 2-Emissionen umfassen indirekte Emissionen aus zugekauften Strom-, Wärme- oder Kältemengen.

Scope 3 schließt alle indirekten Emissionen aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfung sowie dem Lebenszyklus der gefertigten Produkte ein, beispielsweise Werkzeugmaschinen. In diesen Bereich fallen also auch Materialien und Komponenten von Zulieferern oder Emissionen, die durch die Nutzung einer Werkzeugmaschine beim Anwender entstehen. Zudem wird die Lebensdauer eines Produkts bewertet und was mit ihm am Ende seines Lebens passiert.

Best Practice als Orientierungshilfe

Claudia Brasse, Group Director Sustainability HSE des Pumpenherstellers Wilo, sieht Scope 3 als Herausforderung. Das gelte vor allem für den Product Carbon Footprint und die dafür notwendige Integration von Lebenszyklusanalysen (LCA) in die Produktentwicklung. (Bildnachweis: WILO SE)

Wie eine CO2-Bilanz aufgestellt und daraus eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wird, erläuterte beim VDW-Workshop Claudia Brasse, Group Director Sustainability & HSE (Health, Safety, Environment) bei der Wilo SE, einem global agierenden Pumpenhersteller mit Sitz in Dortmund. In weltweit über 70 Produktions- und Vertriebsgesellschaften beschäftigt das Unternehmen rund 8.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kern der Nachhaltigkeitsstrategie: „Wir wollen dazu beitragen, möglichst viele Menschen mit sauberem Wasser zu versorgen“, sagt Claudia Brasse, „und dies bei gleichzeitig reduziertem ökologischen Fußabdruck“.

Bei der Klimabilanzierung begannen die Dortmunder zunächst damit, die Energieverbräuche an den elf großen Produktionsstandorten des Unternehmens zu erfassen (Scope 1) und dann die Basis-Emissionen zu kalkulieren (Scope 1 und 2). Bei der Datenerhebung und Berechnung von Treibhausgasemissionen in der Lieferkette hilft ein Scope 3-Evaluator, eine Software zur Datensammlung und -bewertung.

Die Ergebnisse wurden in die Nachhaltigkeitsstrategie integriert, die in die vier Handlungsfelder Wasser, Energie und Emissionen, Material und Abfall sowie Mitarbeiter und Gesellschaft aufgeteilt sind. Den Handlungsfeldern werden bei Wilo Maßnahmen wie etwa die Erweiterung des Portfolios an Smart Water Systems, Energieeinsparungen durch Hocheffizienzpumpen, die Erhöhung der Anzahl wiederverwendbarer Teile oder die Reduzierung des Materialverbrauchs mit berechneten Zielgrößen zugeordnet.

So werden insgesamt bis 2025 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 50 Mio. Tonnen, eine klimaneutrale Produktion an allen Wilo-Standorten, eine Reduktion des Verbrauchs an Rohstoffen um 250 Tonnen sowie eine Recyclingquote von 90 Prozent als Ziele gelistet. Der Anteil von Grünstrom, also Strom aus erneuerbaren Energien, soll bei Wilo bis 2025 auf 100 Prozent steigen, wobei ein Anteil von 20 Prozent aus Eigenstromerzeugung angestrebt wird.

Begonnen werde mit der Umsetzung der Maßnahmen zunächst in Europa, so Brasse, es folgen die Standorte im asiatischen Raum. Um den verbleibenden Anteil CO2-Emissionen zu kompensieren, der sich trotz größter Anstrengungen nicht vermeiden lässt, unterstützt Wilo entsprechend seiner Nachhaltigkeitsstrategie ein nach dem anerkannten Goldstandard zertifiziertes Brunnenprojekt im südostafrikanischen Malawi.

Während Scope 1 und 2 mit überschaubarem Aufwand zu bilanzieren sind – „Fangen Sie einfach an!“, – sei es eine Herausforderung, die Emissionen aus Scope 3 zu ermitteln und handhabbare Ziele zu formulieren, sagt Claudia Brasse. Das gelte vor allem für den Product Carbon Footprint und die dafür notwendige Integration von Lebenszyklusanalysen (LCA) in die Produktentwicklung.

Im Gegensatz zu früher, wo es mehr um Einzelprojekte und spezifische, meist wissenschaftlich motivierte Fragestellungen ging, ist LCA künftig ein regulärer Prozess zur Erhebung und Dokumentation aller relevanten Umweltauswirkungen von Produkten. Wilo implementierte dafür die Software Ecodesign Studio.

Externe Unterstützung im Umfeld wissenschaftlicher Einrichtungen

Martin Beck, Geschäftsführer der ETA-Solutions, sieht in schlüsselfertigen Komplettsystemen das neue Geschäftsmodell Klimaneutralität. (Bildnachweis: ETA Solutions)

Um die anspruchsvollen Scope 3-Ziele anzugehen, nehmen viele Unternehmen externe Hilfe in Anspruch, wie auch im VDW-Workshop deutlich wurde. Expertinnen und Experten, die im Bereich Energie- und Ressourceneffizienz analysieren, Schwachstellen identifizieren und wirksame Maßnahmen vorschlagen, finden sich im Umfeld wissenschaftlicher Einrichtungen.

Im Rahmen des Projekts „KliMaWirtschaft“, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ist etwa das Berliner Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in die Planung, Organisation und konzeptionelle Umsetzung einer Workshop-Reihe für Unternehmen eingebunden. Das IPK übernimmt zudem die fachliche Begleitung speziell auch produzierender Unternehmen, auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Klimamanagement.

Das IPK betreibt angewandte Forschung und Entwicklung für die gesamte Prozesskette produzierender Unternehmen. Institutsleiter Prof. Eckart Uhlmann, der auch Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) ist, sieht es als zentrale Aufgabe an, Hersteller in die Lage zu versetzen, alle Fertigungsschritte energie- und ressourcenschonend zu gestalten.

So forschen IPK-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler unter anderem zum Thema Digitaler Zwilling, der dabei helfen soll, den CO2-Fußabdruck von Produkten entlang des Lebenszyklus zu verfolgen und langfristig zu reduzieren. Sie zeigen, wie energieeffiziente produktionsbegleitende Prozesse, etwa Wärme, Belüftung oder Abluft, geplant oder Maschinen und Anlagen optimal gesteuert werden.

Chancen erkennen im internationalen Wettbewerb

Mit der Planung und Umsetzung energieeffizienter Systeme beschäftigt sich auch Martin Beck, Geschäftsführer der ETA-Solutions GmbH, Dienstleister für Energiesystemplanung mit Sitz im hessischen Bensheim. Das Unternehmen ist eine Ausgründung des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt. Beck merkt kritisch an, dass in vielen Diskussionen oft Klimaschutz mit Regulatorik gleichgesetzt werde und die Kundenerwartungen noch nicht ausreichend in den Fokus der Anstrengung genommen werden. „Es muss viel mehr über Wettbewerbsvorteile und neue Geschäftsmodelle gesprochen werden“, fordert er.

ETA-Solutions ist in die Konzeption des Gemeinschaftsstands „Future of Sustainability in Production Area“ auf der EMO Hannover 2023 eingebunden. Martin Beck betont, dass das gesamte System – nicht nur die einzelne Maschine – über den effizienten Einsatz der Technik entscheide. Rund 90 Prozent der Energieeinsparpotenziale liegen auf der Seite des Kunden.

Beck nennt Beispiele wie etwa die Abwärmerückgewinnung, eine dezentrale Kühlung mit effizienten Kälteaggregaten oder die thermische Vernetzung, wodurch sich in den Fabriken der Energiebedarf für die Kälte- und Wärmebereitstellung und damit die Kosten nachweislich um bis zu 82 Prozent, die CO2-Emissionen um bis zu 72 Prozent reduzieren ließen. Das Wissen um Einflussmöglichkeiten auf Energieverbrauch und CO2-Emissionen müsse systematisch angewandt werden, so der Experte.

Das Geschäftsmodell Klimaneutralität ziele darauf, schlüsselfertige Komplettsysteme anzubieten, in denen der Turn-Key-Prozess um eine bedarfsgerechte Auslegung der Infrastruktur einschließlich Strom, Kälte, Wärme oder Prozessluft erweitert und Energiesystemplanung als Dienstleistung angeboten wird. Beck ist überzeugt: „Wer auf diesem Gebiet Kompetenz entwickelt und dies aktiv in seine Vertriebsstrategie einbindet, hat mehr Chancen im Markt, nicht nur im Neugeschäft, sondern auch im Bestand.“

Kontakt:

www.emo-hannover.de